Verdachtsdiagnose: Intoxikation mit einem Rattengift

Dr. med. vet. P. Müller • July 8, 2025

RURKA, Tervueren, weiblich, 8 Wochen alt


Rurka wird uns von der Züchterin vorgestellt, weil der Welpe seit dem Vorabend mehrfach erbrochen hatte und nicht mehr fressen wollte. Beim Eintreffen in der Praxis ist der Welpe stark reduziert und leicht dehydriert. Rurka wird stationär aufgenommen und intravenös infundiert, sie erhält ein Medikament gegen Brechreiz und wird weiter abgeklärt.


Bildgebung und weiterer Verlauf

Wir fertigen Röntgen des Bauches an und führen einen Ultraschall der Bauchorgane durch. Im Röntgen sind keine Hinweise auf einen Darmverschluss zu sehen; die Falten des (leeren) Magens sind aber überaus deutlich zu sehen (röntgendichter als üblich). Auch die mitgeröntgten Lungenanteile scheinen heller als üblich. Im Ultraschall weist die Magenschleimhaut eine erhöhte Echogenität auf, auch die beiden Nieren erscheinen im Ultraschall deutlich heller (echogener) als normal. Es sind keine Hinweise auf einen Darmverschluss vorhanden, im Dickdarm befinden sich aber grössere Mengen flüssiger Kot.


Weiterer Verlauf

Kurze Zeit später setzt Rurka Durchfall ab - im Kot findet sich zur unserer Überraschung eine (tote) Made von wohl 4 cm Länge. Auch nach längerer online-Suche konnte nicht mit Sicherheit bestimmt werden, um was für ein Tier es sich hier handelt - am wahrscheinlichsten scheint eine Schnakenlarve. Die Welpen der Züchterin haben Freigang in einem grossen Gehege nahe dem Wald; es ist davon auszugehen, dass Rurka die Larve dort gefressen hat.


Leider verschlechtert sich der Zustand von Rurka rapide, und der Welpe stirbt in der Nacht, nachdem er Blut erbrochen hatte.

Die Wurfgeschwister von Rurka sind zwar alle wohlauf, allerdings ist der Fall doch sehr beunruhigend, weshalb eine Autopsie des Welpen veranlasst wird.


Autopsie

Der Autopsiebericht ist sehr aufschlussreich und klärt auf, woran Rurka gestorben ist: Der Pathologe findet im Mikroskop in diversen Organen (Nieren, Lunge, Herz, Magen) diffuse Verkalkungen, aber auch Einblutungen und eine Zerstörung des Nierengewebes. Diese Veränderungen sind insbesondere bei sehr hohen Blut-Calciumwerten zu sehen, welche im Fall von Rurka mit grösster Wahrscheinlichkeit durch die Vergiftung mit einem Rattengift (Cholecalciferol) entstanden sind. Die Verkalkungen in Magen, Lunge und Nieren sind denn auch für die beobachtete Veränderungen im Röntgen und Ultraschall verantwortlich.

Alternativ wäre möglich, dass ein primärer Nierenschaden zu den Verkalkungen geführt hat - hier wäre die Ursache allerdings völlig offen.


Wissenschaftliches

Zur Bekämpfung von Nager-Schädlingen wie Mäuse und Ratten werden diverse Stoffe (Rodentizide) eingesetzt. Neben den Cumarinen (welche zu einer Hemmung der Blutgerinnung führen) werden auch Chloralose (welches eine Wirkung auf das zentrale Nervensystem hat) und Cholecalciferol eingesetzt. Alle Präparate können auch für Hunde und Katzen gefährlich werden, wenn sie in bestimmten Mengen aufgenommen werden.

Cholecalciferol ist nichts anderes als Vitamin D - wird es in einer grossen Menge aufgenommen, führt es zu einem starken Anstieg des Calciums im Blut, was zu Verkalkungen in diversen Organen führt. Diese Verkalkungen schädigen die Funktion des Organes, was ab gewissen Dosen zum Tod führt.

Da bei Rurka keine Blut-Calciumbestimmung oder Toxinanalyse vorgenommen wurden, bleibt die Verdachtsdiagnose einer Cholecalciferol-Vergiftung unbewiesen. Ebenfalls unklar ist, wie und wann der Stoff von Rurka aufgenommen wurde. Obwohl eine Böswilligkeit (gezieltes Auslegen von Ködern) nicht ausgeschlossen ist, könnte auch ein vergifteter Nager ins Freilaufgehege nahe des Waldes gelangt und dort verstorben sein. Dass ein Welpe bei der Aufnahme von Fremdmaterial nicht sehr wählerisch sein kann, unterstreicht der Fund der Larve im Kot von Rurka.

Aufgrund der Möglichkeit von Sekundärintoxikationen (Vergiftung durch Aufnahme eines vergifteten Nagers) dürfen Cumarine seit dem 1.4.2025 nicht mehr an Privatpersonen verkauft werden.



© Dr. med. vet. P. Müller / Lyssbachvet

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