Tetanus (Starrkrampf) beim Hund

Dr. med. vet. P. Müller • June 1, 2025

PANDORA, Deutsche Dogge, weiblich, 3 Jahre alt



Pandora ist eine Zuchthündin. Sie wird uns Ende April erstmals und zur Trächtigkeitsdiagnose mittels Ultraschall vorgestellt. Pandora ist 29 Tage nach dem Decken trächtig. Ausserdem zeigt uns die Besitzerin eine entzündete und geschwollene Zehe an der rechten Vorderpfote. Durch eine tiefgreifende Abwetzung der Kralle ist das Krallenbett exponiert und hat sich entzündet. Da dieses Problem schon mehrfach aufgetreten ist, wünscht die Besitzerin, mit Rücksicht auf die Trächtigkeit und die mögliche Beeinträchtigung der Föten, auf ein Antibiotikum zu verzichten und behandelt die Pfote mit Bädern.



Weiterer Verlauf

Drei Wochen später wird uns Pandora erneut zum Ultraschall vorgestellt. Der Grund: Der Hund hatte in der Zwischenzeit ein schwerwiegendes Problem entwickelt, und die Besitzerin befürchtet, dass eine Trächtigkeitskomplikation aufgetreten ist:

Pandora wird regelmässig wegen Verspannungen von einer tierärztlichen Chiropraktikorin behandelt. Die Tierärztin ist ausserdem glücklicherweise eine diplomierte Tierneurologin und spricht die Besitzerin auf eine Beobachtung an: Der Hund zeigt ein etwas verzerrtes Gesicht mit Runzelbildung an der Stirn, auch die Ohren scheinen gegen hinten verzogen und der Hals ist steif. Die Neurologin äussert den Verdacht, dass Pandora an Wundstarrkrampf (Tetanus) leidet. Umgehend sucht die Besitzerin einen Tierarzt in ihrer Nähe auf, welcher eine Antibiotikumtherapie beginnt und dem Hund Tetanusserum spritzt.


Weiterer Verlauf: Tetanus

Rund 10 Tage nach Beginn der Antibiotikagabe sehen wir Pandora wie beschrieben für einen zweiten Trächtigkeitsultraschall. Dem Hund geht es besser, nur eine leichte Runzelbildung im Stirnbereich ist noch vorhanden, und die Zehe ist unter Antibiotika abgeschwollen und schmerzfrei. In den nächsten zwei Wochen bilden sich sämtliche Tetanussymptome komplett zurück.


Weiterer Verlauf: Trächtigkeit und Geburt

Beim neuerlichen Ultraschall ist leider ersichtlich, dass mindestens einer der Föten im Bauch von Pandora nicht mehr lebt. Eine tote Frucht kann zur Störung der Trächtigkeit, einer Beeinträchtigung der Gesundheit der werdenden Mutter und allenfalls einem Abort führen. Wird eine tote Frucht bei Geburtsstörungen festgestellt, ist dies eine Indikation für einen Kaiserschnitt. Pandora's errechneter Geburtstermin liegt aber noch beinahe 2 Wochen in der Zukunft - ein Kaiserschnitt zu diesem Zeitpunkt würde mit grösster Wahrscheinlichkeit zum Verlust aller noch lebenden Föten führen, weshalb wir abwarten. 1 Woche später berichtet die Besitzerin, dass es Pandora zwar gut geht, sie aber bräunlichen Scheidenausfluss zeigt. Zur Sicherheit wird die Hündin an der gynäkologischen Abteilung am Tierspital Zürich untersucht. Glücklicherweise leben die restlichen Föten immer noch und der Progesteronwert, welcher für den Erhalt der Trächtigkeit essentiell ist, ist normal. Kurze Zeit später werden mittels Kaiserschnitt 7 gesunde Welpen zur Welt gebracht - der tote Fötus hatte die Geburt behindert, weshalb eine Schnittentbindung nötig wurde. Zum Zeitpunkt der Geburt sind alle Tetanussymptome bei Pandora verschwunden.

Videosequenz des verstorbenen Föten


Wissenschaftliches

Tetanus (Wundstarrkrampf) ist bei Hund und Katze ein seltenes Phänomen, währenddem z.B. Pferde, Wiederkäuer, Schweine und Menschen anfälliger für das Problem sind und entsprechend dagegen geimpft werden.

Ursache für die Erkrankung ist ein Bakterium (Clostridium Tetani), welches unter Sauerstoffausschluss in der Umgebung (Erde, Staub etc) vorkommt. Gelangt das Bakterium via eine Wunde in den Körper, produziert es einen Giftstoff (Toxin), welches entlang der Nervenfasern in das Zentrale Nervensystem gelangt. Dort blockiert es die hemmende Wirkung von bestimmten Nervenzellen, welche eine bremsende Modulierung von anderen Nervenzellen zur Aufgabe haben. Somit kommt es zu einer sogenannten "enthemmten Hemmung" dieser Zellen, wodurch sich die von ihnen kontrollierten Muskeln krampfartig zusammenziehen. Dieser Krampf beginnt häufig an der Kopfmuskulatur, was zu einem angespannten Gesichtsausdruck ("Risus Sardonicus" oder Teufelsgrinsen) und einem Krampf in der Kaumuskulatur führt. Später verkrampfen sich auch die Rückenmuskeln, Gliedmassen und das Zwerchfell, was bis zu Wirbelbrüchen und unbehandelt zum Tod durch Ersticken führt.

Die Therapie besteht aus der Wundsanierung (Aufschneiden und Reinigung der ursächlichen Wunde, damit die Bakterien Sauerstoff ausgesetzt werden) und Antibiotikagabe, um die ursächlichen Bakterien abzutöten. Die Injektion von Antiserum (Antikörpern gegen das Toxin) kann zu einer Beschleunigung der Heilung führen; die Wirksamkeit des Antiserums ist aber umstritten. Ausserdem können krampflösende Mittel und Versorgung mit Flüssigkeit und Nährstoffen via Infusion oder Ernährungssonde sowie künstliche Beatmung eingesetzt werden.

Mensch und Tier weisen keine natürliche Immunität gegen Tetanus auf. Die Impfung gegen Tetanus ist aber sehr gut wirksam, weshalb beim Menschen bei Verletzungen in aller Regel der Impfstatus abgefragt wird. Ist die letzte Impfung zu lange her, wird eine Boosterimpfung verabreicht, um einen Starrkrampf zu verhindern. Durch die praktisch komplette Durchimpfung der Bevölkerung ist Tetanus beim Menschen in der entwickelten Welt sehr selten geworden - in Deutschland wurden im Jahr 2000 8 Fälle gemeldet. Weltweit kam es im Jahr 2000 aber zu ca 309'000 Todesfällen beim Menschen - bei vielen handelte es sich um Neugeborene, welche aufgrund der hygienischen Umstände eine fatale Nabelinfektion mit Clostridium Tetani entwickelten.

Pandora's Glück war es, dass die involvierte Neurologin das Problem frühzeitig erkannte und der Hund rechtzeitig behandelt werden konnte. Ob der Tod des Föten im Zusammenhang mit dem Tetanus oder den eingesetzten Medikamenten stand, lässt sich nicht eruieren.



© Dr. med. vet. P. Müller / Lyssbachvet

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